Ich bin nicht gestresst – oder doch?
- Saskia Kuhmann

- 22. Sept.
- 2 Min. Lesezeit
Frühwarnsignale erkennen, bevor sie laut werden
Stress ist selten spektakulär. Er kommt nicht wie ein Sturm, der alles niederreißt, sondern eher wie ein feiner Nieselregen, der irgendwann den Boden durchnässt. Anfangs fühlt sich das Leben noch normal an. Wir stehen morgens auf, gehen durch unseren Alltag, erledigen, was getan werden muss. Und doch schleicht sich eine leise Unruhe ein, ein Gefühl von Rastlosigkeit oder innerem Druck, das wir nicht recht einordnen können. Viele sagen dann: „Ich bin nicht gestresst.“ Sie meinen es ernst und überhören trotzdem, dass Körper, Geist und Seele längst Signale senden.
Wir haben gelernt, viel auszuhalten. Verantwortung zu tragen. Erwartungen zu erfüllen. Die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, weil erst einmal alles andere wichtiger scheint. Und so verschiebt sich der Maßstab: Ein hoher Anspannungspegel wird zur Gewohnheit. Erst wenn der Körper lauter wird, mit Schlafstörungen, Verspannungen, ständiger Müdigkeit oder Infekten reagiert, oder wenn die Psyche rebelliert, mit Gereiztheit, Erschöpfung oder Rückzug, dann merken wir, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dann ist der Stress nicht mehr leise, sondern unüberhörbar.
Es gibt diesen Moment, in dem wir uns selbst beobachten und erkennen: Ich funktioniere, aber ich fühle mich nicht mehr wirklich verbunden mit mir. Das ist der Punkt, an dem es wertvoll ist, innezuhalten. Nicht erst zu reagieren, wenn der Akku leer ist, sondern viel früher. Das erfordert ein Hinspüren, das wir im Alltag oft verlernt haben. Sich selbst wieder wahrzunehmen ist wie eine kleine Rückkehr: den Atem zu spüren, den eigenen Körper zu bewohnen, den Gedankenfluss zu beobachten, ohne sofort handeln zu müssen.
Dieses frühe Hinsehen ist kein Luxus, sondern ein Akt der Selbstfürsorge. Es ermöglicht uns, bewusst kleine Veränderungen einzuleiten: eine Pause zwischen zwei Terminen, ein tiefer Atemzug, ein Spaziergang, ein Gespräch mit einem Menschen, der uns guttut. Es sind oft diese unscheinbaren Momente, die verhindern, dass der leise Stress sich in chronische Anspannung verwandelt.
„Ich bin nicht gestresst – oder doch?“ ist deshalb eine Frage, die sich lohnt, ernsthaft zu stellen. Sie ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von einem achtsamen Umgang mit sich selbst. Wer sie stellt, öffnet einen Raum, in dem Selbstfürsorge möglich wird. Stress ist dann nicht mehr der Feind, der bekämpft werden muss, sondern ein Botschafter, der uns erinnert: Es ist Zeit, für dich zu sorgen.
Typische Stresssignale auf einen Blick
Stress zeigt sich nicht nur im Kopf, sondern auf vier Ebenen gleichzeitig: im Körper, in den Gedanken, in den Gefühlen und im Verhalten.


